Die nachstehenden Ausführungen sind dem Buch „Voerde“ von Helmut Rotthauwe gen. Löns entnommen. Es enthält auch noch weitere Einzelheiten zu den Grabfunden. Das Buch befindet sich im Archiv der Gilde.
Geschichte wird am Niederrhein erst seit rund 2000 Jahre geschrieben. Als die Dame Historia mit den Römern ein halbes Jahrhundert v. Chr. an den Niederrhein kam, hatte sie Kriegsberichterstatter, Schriftsteller, Steinmetze, Soldaten und Bürger in ihrem Tross. Ihr Nachlass lieferte die ersten Urkunden und Jahreszahlen für Ereignisse in der Flusslandschaft.
Auf der Geest in Mehrum fand man im Herbst 1956 beim Bau einer Wasserleitung einen Begräbnisplatz der Germanen aus der römischen Kaiserzeit. „Mehrum muß damals auf dem Westufer des Rheines gelegen haben. Die Funde sagen allerdings nichts über den genauen Verlauf des Rheines in römischer Zeit aus“ (Stampfuß). Vielleicht waren es germanische Legionäre vom Xantener Lager, die hier begraben wurden.
Der Archäologe aus Zufall hieß Heinrich Möltgen und war ein Bauer aus Mehrum. Was er entdeckte, wird „einer der bedeutendsten niederrheinischen Funde aus römischer Zeit“ genannt.
Im Frühjahr 1888 hob Heinrich Möltgen in seinem Garten eine Grube aus. Ohne zu suchen, fand er dieses: Vier verschiedene Gefäße aus getriebenem Bronzeblech mit Henkeln. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie Eimer. Der größte war 38,5 cm hoch mit einem Durchmesser am oberen Rand von 30 cm. Drei zeigten figuralen und ornamentalen Schmuck. Die an den Enden umgebogenen Henkel endeten in Tierköpfen. Der Inhalt des größten „Eimers“: Leichenbrand (Asche, Knochenreste), dazu Stückchen von Leder und Leinen, ein Salbenfläschchen, Bronzeteilchen. Nachgrabungen brachten ans Licht: ein eisernes Schwert, Teile einer Dolchklinge, eine Lanzenspitze, einen Schildbuckel und zwei Schüsseln aus „terra sigillata“ (römisches Tongeschirr der Kaiserzeit in glänzend rotbrauner Farbe, hergestellt vor allem in Arretium, dem heutigen Arezzo in Mittelitalien). Die Tonschüsseln trugen die Stempel: O FBASSI-CO und OFF-CANI.
Die Mehrumer Grabfunde werden heute im Rheinischen Landesmuseum in Bonn aufbewahrt. Der Archäologe Adolf Furtwängler, Direktor der Münchener Glyptothek und Vater des berühmten Dirigenten Wilhelm Furtwängler, datierte ihre Entstehung in die frühe römische Kaiserzeit, also etwa in das 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung.
Seine Begründung: In Pompeji und Herculaneum sind gleiche Gefäße gefunden worden. Pompeji und Herculaneum, die beiden römischen Städte am Fuße des Vesuvs, wurden 79 n. Chr. bei einem Vulkanausbruch von Lavaströmen verschüttet.
Wie kamen die „Bronzeeimer von Mehrum“ mit ihren Grabbeilagen an den Fundort?
Die Detektive der Archäologie sehen drei Möglichkeiten:
1. Lag Mehrum zur Römerzeit linksrheinisch (und das ist wahrscheinlich), so könnte hier ein römischer Soldat von Rang begraben
worden sein.
2. Die Mehrumer Grabfunde sind Beutestücke eines germanischen Kriegers. Dagegen spricht die Lage der Gegenstände zueinander.
Auch hätte der beutegierig Germane wohl kaum den Leichenbrand in dem erbeuteten Eimer belassen.
3. Die „Eimer“ und Beigaben gehören zum Grab eines Germanen, der römischer Offizier gewesen war, bevor er sich in Mehrum ansiedelte.
Im „Fall“ der Bronzeeimer von Mehrum sind die archäologischen Detektive „dem Täter auf der Spur“. Indizien haben Ursprung
und Zweck der Gegenstände geklärt; der „Täter“ jedoch bleibt unbekannt.
Im Jahre 1936 wurde ein Bagger zum Archäologen wider Willen. Er hob westlich von Mehrum aus 4 Meter Tiefe unter dem Wasserspiegel des Rheins einen Soldatengrabstein aus der Baggergrube. Der 1,30 m hohe Kalkstein hat keinen Sockel mehr, der seine Inschrift hätte zeigen können. Aber der im Hochrelief dargestellte Legionär ist deutlich zu erkennen: Sein Lederkoller mit Gürtel, die Tunica und der über die Schulter geworfene kurze Kriegsmantel. Die linke Hand hält das Schwert.
Hinweis:
Im Anhang befinden sich weitere Beschreibungen zu den Grabfunden:
- Römische Funde im Kreis Dinslaken von B. Pulcher
- Der frühkaiserzeitliche Grabfund von Mehrum von M. Gechter u. J. Kunow
- Zeitungsartikel aus 1983, 1984, 2005 und 2010
